Wo Gefäße kommunizieren und Schiffe Stufen steigen
Mit einem Knopfdruck ertönt ein kurzes metallisches Geräusch, das untrüglich die Bewegung einer schweren Stahlkonstruktion ankündigt. Durch das südwestliche Seitenfenster beobachten wir das langsame Aufschwingen der fast 115 Tonnen schweren Torflügel des Stemmtores direkt unterhalb der B-Stelle – das sogenannte Unterhaupt öffnet sich und gibt Stück für Stück den Weg zur Schleusenausfahrt und in den offenen Strom frei.
Hätten Sie gedacht, dass die Donau genau genommen eine fließende Treppe ist? Allein ihr österreichischer Abschnitt verfügt über neun Kraftwerksstaustufen und weist zwischen Passau und Bratislava ein Gefälle von etwa 150 Meter auf. Für die Schifffahrt heißt es also: Treppen steigen, um weiterzukommen. Möglich machen dieses Kunststück rund 100.000 Mal im Jahr unsere Kolleginnen und Kollegen der Schleusenaufsicht, die Tag und Nacht im Schichtbetrieb für einen reibungslosen Schiffsverkehr an den neun Schiffsschleusen entlang der Donau sorgen. Aber wie sieht eigentlich der Arbeitsplatz der Schleusenaufsicht aus? Und was geschieht genau bei der Schleusung eines Schiffes? Bei Kaiserwetter an einem Montagmorgen im Februar habe ich mich zur Schleusenanlage des Kraftwerks Freudenau weit im Südosten Wiens aufgemacht, wo mir Markus Sieger und Heinz Mühlböck spannende Einblicke in ihren außergewöhnlichen Beruf gewährt haben.
Auf der B-Stelle alles im Blick
Über Funk ertönt knisternd die Stimme eines niederländischen Kapitäns. Er manövriert gerade auf Höhe Klosterneuburg nahe Wien und informiert die Schleusenaufsicht Freudenau über seine baldige Ankunft. Es ist kurz nach 10 Uhr vormittags als ich eben die B-Stelle (Befehlsstelle) der eindrucksvollen 314 Meter langen Schleusenanlage, wovon 275 Meter nutzbar für die Schifffahrt sind, östlich des Freudenauer Hafens betrete. Während ich noch von der herrlichen Aussicht stromaufwärts auf den nordwestlichen Donauverlauf quer durch die Bundeshauptstadt verblüfft bin, bestätigt Markus Sieger mit freundlichen Worten die Meldung des Kapitäns. Die B-Stelle ist geräumig, erinnert an die Brücke großer Fracht- oder Passagierschiffe und bietet einen hervorragenden Rundum-Blick auf das Geschehen in und um die Schleusenkammern. Richtung Nordwesten reicht die Aussicht bis zur Wiener Pforte bei Klosterneuburg, in entgegengesetzter Richtung verlässt die Donau Wien im Südosten – nördlich und östlich des Flussverlaufs erstreckt sich der Nationalpark Donau-Auen.
Markus Sieger ist seit etwa drei Stunden in seiner Schicht und hat in dieser Zeit bereits acht Schiffe durch die letzte Staustufe vor der österreichisch-slowakischen Grenze geschleust. Die niederländische „Densimo“ wird in etwa 30 Minuten die Schleuse erreichen. Mit präzisen Handgriffen auf dem Steuerpult der B-Stelle bereitet der neunundzwanzigjährige Niederösterreicher die rechte Schleusenkammer vor. Der Wasserstand der Kammer wird jenem oberhalb der Staustufe angeglichen, um die Einfahrt in die Kammer für eine Schleusung stromabwärts (Talschleusung) zu ermöglichen. Mit dem Blick eines Laien kommentiere ich das in die Kammer geleitete Wasser spontan mit: „Pumpvorgang“. Markus Sieger lächelt wissend und berichtigt: „Das Prinzip der kommunizierenden Gefäße.“ Aha.
Bei uns wird kommuniziert
„Bei uns wird eigentlich nicht gepumpt“, erklärt Sieger weiter. „Die Kammern sind unter Wasser durch Kanäle mit dem Hauptstrom verbunden. Durch das Ausgleichsprinzip kommunizierender Gefäße lässt sich der Wasserstand in den Kammern hydraulisch unkompliziert dem Pegel außerhalb der Anlage angleichen.“ Der Unterschied zwischen Ober- (oberhalb der Staustufe) und Unterwasser (unterhalb der Staustufe) beträgt an der Schleuse Freudenau ca. 10 Meter – eine beachtliche Stufe, die es im Tagesdurchschnitt für 35 bis 40 Wasserfahrzeuge zu überwinden gilt. Ich werfe einen genaueren Blick auf die Steuerpulte und versuche das Verantwortungsbewusstsein und die Erfahrung zu ermessen, die für den Dienst an der Schleuse nötig sind. Ich möchte es genau wissen: Wie wird man eigentlich Schleusenaufsichtsorgan?
Besonderer Job mit besonderem Profil
„Nach einer viermonatigen Einschulung an der Schleuse muss eine Prüfung absolviert werden – die sogenannte Schleusenbefragung“, weiß Heinz Mühlböck. „Diese besteht wiederum aus drei Teilen: einem technischen, der vom Kraftwerksbetreiber, der Verbund Hydro Power GmbHGmbH durchgeführt wird, einem Internen, der sich dem Dienstbetrieb selbst widmet und einem Rechtlichen, der von der Obersten Schifffahrtsbehörde des bmvit abgenommen wird.“ Da die Kommunikation an der Schleuse fast ausschließlich über Funk läuft, ist außerdem das sogenannte „Eingeschränkte UKW-Sprechfunkzeugnis“ zu erwerben. Legt man schließlich zwei Jahre nach der ersten Schleusenbefragung noch eine sogenannte Betrauungsprüfung vor der Obersten Schifffahrtsbehörde erfolgreich ab, hat man es geschafft und ist „geprüftes Schleusenaufsichtsorgan“.
Heinz Mühlböck ist stellvertretender Leiter der Schleusengruppe Ost und verfügt über inzwischen 21 Jahre Berufserfahrung im Schleusendienst. Der Fachmann weiß: neben einer gewissenhaften Ausbildung ist vor allem die Begeisterung und das Verständnis für die Besonderheiten dieses außergewöhnlichen Arbeitsplatzes wichtig – Schichtdienst, Alleinarbeit, die Zusammenarbeit sowohl mit den internationalen Schiffsbesatzungen der Güter- und Passagierschifffahrt als auch Freizeitkapitänen. „Da ist man natürlich neben einer Fülle von Anforderungen auch mit zahlreichen möglichen Notfallszenarien konfrontiert“, berichtet Mühlböck. „Vom leicht verletzten Matrosen bis zu, glücklicherweise sehr seltenen, schwereren Unfällen – der Ausbildungsweg zum Schleusenaufsichtsorgan zeigt, dass wir sehr darauf achten, unsere Kollegen auf möglichst alle Eventualitäten gut vorzubereiten.“
Die Begeisterung für die Arbeit am Wasser hat Markus Sieger bereits aus seiner Zeit bei den Melker Pionieren des Österreichischen Bundesheeres mitgebracht. Der Niederösterreicher ist seit Mai 2014 bei der Schleusenaufsicht und genießt bei seiner Arbeit in der B-Stelle der Schleuse Freudenau eines der bemerkenswertesten Panoramen, das sich an der Donau bei Wien bietet. An den 12-Stundenrythmus des Schichtdienstes – 7 bis 19.00 Uhr bzw. 19 bis 7 Uhr – hat er sich schnell gewöhnt. Durch die Schleuse Freudenau werden im Jahr rund 20.000 Einheiten geschleust. Da werden viele Eindrücke gesammelt. „Was bleibt besonders im Gedächtnis? Was sind besondere Stressmomente?“, möchte ich wissen. „Im Frühling und Sommer ist das Verkehrsaufkommen meist dichter – da kann es auch schon mal zu einem kleinen Stau von sieben oder acht Schiffen vor den Schleusenkammern kommen, aber gravierende Zwischenfälle sind selten“, wiederholt Heinz Mühlböck und durchstöbert seine Erinnerungen aus zwei Jahrzehnten Diensterfahrung. „Aber ich erinnere mich noch gut an das Unglück der Ďumbier 1996.“ Mühlböck erzählt die Geschichte des slowakischen Schubschiffes, das am 22. Oktober 1996 bei starker Strömung die Schleuseneinfahrt verfehlte und in die Wehranlage des Kraftwerks gedrückt wurde. Acht der neun Besatzungsmitglieder verloren dabei ihr Leben. Es war eines der schwersten Schiffsunglücke auf dem österreichischen Donauabschnitt.
Vom Oberhaupt zum Unterhaupt
In der Zwischenzeit hat die „Densimo“ die Schleusenkammer erreicht. Der Kapitän meldet sich nochmal über Funk: bereit zur Schleusung. Mit geschärftem Blick durch den Feldstecher überprüft Markus Sieger, ob das 105 Meter lange und 10 Meter breite Frachtschiff auch in Position und gut gesichert ist. Alles in Ordnung. Nachdem das Oberhaupt (die Schleusenkammer flussaufwärts begrenzende Torkonstruktion) geschlossen ist, kann die Entleerung ins Unterwasser und somit die Angleichung des Wasserstandes an den unterhalb der Staustufe herrschenden Pegel eingeleitet werden. Der Wasserspiegel der nun geschlossenen Schleusenkammer senkt sich mitsamt Frachtschiff langsam nach unten. Nach einer knappen halben Stunde ist der Ausgleich für eine Talschleusung vollendet. Markus Sieger kontrolliert durch das Seitenfenster ob der Torbereich frei von Schwemmgut ist, bevor er an das Steuerpult für die rechte Schleusenkammer tritt. Mit einem Knopfdruck ertönt ein kurzes metallisches Geräusch, das untrüglich die Bewegung einer schweren Stahlkonstruktion ankündigt. Durch das südwestliche Seitenfenster beobachten wir das langsame Aufschwingen der fast 115 Tonnen schweren Torflügel des Stemmtores direkt unterhalb der B-Stelle – das sogenannte Unterhaupt öffnet sich und gibt Stück für Stück den Weg zur Schleusenausfahrt und in den offenen Strom frei. Nachdem sich das Unterhaupt vollständig geöffnet hat, gibt Sieger das Lichtsignal zur Weiterfahrt. Die „Densimo“ setzt sich in Bewegung und gleitet leise unterhalb der B-Stelle vorüber und schließlich weiter die Donau entlang Richtung Bratislava. Ich blicke dem Güterschiff noch einen Moment nach und bin einmal mehr erstaunt über das einfache und effiziente Prinzip der Schleusung, die ich gerade hautnah miterleben durfte und rufe mir ins Bewusstsein, dass sich dieser Vorgang noch tausende Male in diesem Jahr wiederholen wird.
Um faszinierende Eindrücke reicher verabschiede ich mich nach rund zwei Stunden schließlich wieder von den Kollegen der Schleusenaufsicht Freudenau. Während ich über die steil abfallende schmale Treppe die B-Stelle verlasse, höre ich aus den Lautsprechern der Funkanlage noch, wie sich der nächste Kapitän für eine Schleusung ankündigt. Aufs Neue werden fast 69.000 Kubikmeter Wasser in Bewegung versetzt, um mit purer Wasserkraft ein weiteres Schiff durch die Staustufe zu hieven. Mein Fazit: Verantwortungsvolle und technisch anspruchsvolle Verkehrsregelung mit besonderem Coolnessfaktor.
Ein technisches Donauschmankerl im Wiener Stadtgebiet
Das Kraftwerk Freudenau und die dazugehörige Schleusenanlage sind für Technik- und Schifffahrtsbegeisterte immer einen Besuch wert. Vor allem über den rechtsufrigen Treppelweg ist die Staustufe für Radfahrer, Jogger aber auch Spaziergänger gut zu erreichen. Tipp: etwa 2,5 Kilometer flussaufwärts befindet sich direkt am Treppelweg die sehenswerte Friedenspagode Wien – ein von japanischen Mönchen 1983 fertiggestellter, rund 26 Meter hoher buddhistischer Stupa.
Der Autor
Andreas Herkel ist seit 2014 bei viadonau als Content Manager in der Unternehmenskommunikation tätig.
E-Mail: andreas.herkel[at]viadonau.org