Die Weltkriegs-Schiffswracks bei Ardagger
Bei Stromkilometer 2086 und 2088,7 liegen die Wracks von zwei „Kriegsschiffen“, die in den letzten Tagen des Krieges in der Donau versenkt wurden. Viele lokale Gerüchte ranken sich um diese beiden Schiffe.
Aufgrund umfangreicher Nachforschungen, der Auswertung von US-Lageberichten und dem Tagebuch eines Schiffsmaschinisten, Zeitzeugeninterviews, 3D-Aufnahmen und eines Tauchganges konnte das Schicksal dieser beiden Artilleriefährprame nun geklärt werden.
Artilleriefährprahm AT 917
Die AT 917 war ein Artilleriefährprahm (Kennung AT) der Deutschen Kriegsmarine und ein Teil der 1. Donauflottille. Gebaut wurde sie im Mai 1944 in der Linzer Schiffswerften AG. Ursprünglich waren die Schiffe dieser Bauweise für eine 1940 geplante Seeinvasion Großbritanniens (Operation Seelöwe) gedacht. Obwohl diese ausblieb wurde der Schiffstyp bis 1945 aufgrund seiner guten Wassertauglichkeit weiterproduziert und optimiert. Die AT 917 hatte eine Länge von 49,8 m und eine Breite von 6,6 m. Bewaffnet war sie mit zwei 2-cm-Vierlingsflak, zwei 10,5-cm-Geschützen und einem 8,8-cm-Geschütz.
Die Daten zur Bewaffnung können zweifelsfrei aus den technischen Daten und dem Tagebuch entnommen werden. Seit dem Tauchgang vom 12. März 2021 steht fest, dass das Wrack bei Stromkilometer 2088,7 ein Artilleriefährprahm ist. Die Länge, Breite und Bauform stimmen mit den technischen Daten überein, und wurden von Tauchern mit einem Seil vermessen. Darüber hinaus wurden der markante, stark abgeschrägte Bug und die Drehkränze der Geschützstellungen erkannt.
Das Schiff liegt mit einer starken Schlagseite Richtung Flussmitte im Uferbereich und hat mehrere faustgroße Einschusslöcher auf der Steuer- und Backbordseite sowie am Oberdeck. Diese sind darauf zurückzuführen, dass das Schiff während der Fahrt zuerst von der linken Donauuferseite beschossen wurde (Einschusslöcher auf Backbordseite). Infolge der Schäden des Beschusses legte das Schiff am Ufer an. Dies geschieht gewöhnlich gegen die Fließrichtung des Stromes, wodurch das Schiff eine Kurve zurücklegte und danach die Steuerbordseite Richtung Norden zeigte, wie die Treffer an der Steuerbordseite der AT 917 belegen.
Wie die Einschusslöcher am Oberdeck zeigen, muss der Artilleriefährprahm danach eine starke Schlagseite erlitten haben. Bei der momentanen Lage des Wracks ist dies auch schlüssig, da es stark schräg zur Flussmitte liegt. Darüber hinaus könnte – auch ohne genauerer Betrachtung der ballistischen Kurve – ein Panzergeschoss nicht in einem Winkel von beinahe 90° in das Oberdeck des Schiffes eindringen; Steilfeuer ist ausgeschlossen. Sämtliche Einschusslöcher weisen eine Wirkung ins Schiffsinnere auf, wovon sich die Taucher durch Abtasten vergewisserten. Starke Deformierungen im Bereich des Maschinen- und des Frachtraumes sind erkennbar. Diese stammen von der Selbstversenkung durch Sprengung, da die Deformierungen vom Schiffsinneren nach außen weisen.
Beschuss und Selbstversenkung
Der „Abschuss“ eines Schiffes mit einer Länge von etwa 50 m ist in den Kriegstagebüchern der U.S. Army angeführt. Ob es sich dabei um die AT 916 oder die AT 917 handelt ist nciht festzustellen. Bei den Kräften der U.S. Army handelte es sich um eine Aufklärungseinheit (South Patrol, auch Patrol A) der 41. Cavalry Reconnaissance Squadron der 11. US-Panzerdivision. Diese war mit Panzern des Types M24 „Chaffee“ ausgerüstet. Diese hatten eine 75-mm-Kanone, von der die faustgroßen Einschusslöcher stammen dürften. Am Gefecht mit den Schiffen waren sechs bis acht Panzer, das entspricht zwei kampfkräftigen Aufklärungszügen, der kompaniestarken South Patrol (Patrol A) dieses Aufklärungsverbandes beteiligt.
Was mit den Deckaufbauten der AT 917 geschah ist nicht überliefert. Nahe liegt, dass sie in der Nachkriegszeit verschrottet wurden. Die Besatzung nahm vom Schiff nur mit, was sie mit den Händen tragen konnten. Ein Zeitzeuge berichtet, dass es auch der Zivilbevölkerung erlaubt war, alles von Bord zu schaffen, das noch übrig war. So haben noch heute einige Familien in der näheren Umgebung Gebrauchsgegenstände aus dem Schiff. Dass damals jedoch Geschütze mit einem Gewicht von mehr als 300 kg abmontiert wurden ist unwahrscheinlich.
Bei Niederwasser ragt heute das Heck des Fährprans aus der Donau. Etwa fünf Meter stromaufwärts befindet sich ein Loch im Rumpf. Hierbei handelt es sich um den gesprengten Maschinenraum samt Kommandoturm. Einige Meter weiter sind noch die Umrisse der 10,5-cm-Geschützkanzel zu erkennen.
Ein Zeitzeugenbericht aus der Chronik der Gemeinde Ardagger ergibt keine Hinweise zur AT 917. Im Tagebuch von Karl Hartmann, dem Maschinisten auf dem Schwesternschiff AT 916 wird mehrmals vermerkt, dass die AT 917 zwei bis drei Kilometer stromaufwärts der AT 916 lag und an Kampfhandlungen teilnahm. Er schreibt von sechs bis acht Panzern der US-Streitkräfte, die sich nach einem heftigen Gefecht abgesetzt hätten, woraufhin die Kampfhandlung beendet waren.
Am 7. Mai 1945 wurde das Schiff um 0500 Uhr, aufgrund eines Befehles, der per Funk übermittelt wurde und dem „Regenbogenbefehl“ entsprach, von der eigenen Besatzung gesprengt. Dieser Befehl, wurde am 30. April 1945 von Großadmiral Karl Dönitz für die gesamte deutsche Kriegsmarine erlassen. Er besagte, dass alle Schiffe und U-Boote, die nicht für die Fischerei oder zum Minenräumen geeignet wären, zu versenken seien. Der Befehl wurde zwar am 4. Mai zurückgenommen, dürfte aber nicht mehr alle Schiffe erreicht haben. Damit bezeugt die Versenkung der AT 917 auch den Befehlsnotstand der letzten Kriegstage.
Artilleriefährprahm AT 916
Die AT 916 ist der exakt gleiche Typ eines Artilleriefährprahms wie die AT 917, hinsichtlich Aufbau, Bewaffnung etc. und somit das Schwesternschiff. Das Wrack liegt bei Stromkilometer 2086. Im Jahr 2006 wurde vom Unternehmen Brandtner der Versuch unternommen das Wrack zu heben. Dabei stellte sich lediglich der Bug auf. Der restliche Teil des Schiffes bewegte sich nicht, da es mit Schotter befüllt ist. Daraufhin wurde die Bergungsaktion eingestellt. Der aufgebogene Bug, ist jener Teil, der heute noch deutlich aus dem Wasser ragt. Näher wurde das Wrack seither nicht untersucht.
Eine Auskunft über das Schicksal der AT 916 findet sich im Tagebuch, das der Maschinist Karl Hartmann verfasste. Laut diesen Aufzeichnungen erhielt der Kapitän den Befehl als erstes Schiff des Verbandes, das aus der AT 916, der AT 917 und der Oder bestand, nach Ybbs zu verlegen. Am 6. Mai 1945 lief das Schiff von Mauthausen, wo die US-Truppen – ebenfalls Einheiten des 41. Cavalry Reconnaissance Squadron – bereits am Vortag eingetroffen waren, Richtung Ybbs aus.
Auf Höhe von Wallsee wurde das Schiff um 1800 Uhr erstmals von der linken Uferseite aus beschossen. Der Kapitän ließ daraufhin die Gefechtsstationen besetzen. Der Beschuss durch die US-Kräfte wurde heftiger, sodass er anlegen musste und einige Besatzungsmitglieder an Land gingen. Durch den schweren Beschuss, der bis etwa 2100 Uhr dauerte, trieb das Schiff weiter ab und legte schließlich an – vermutlich bei Stromkilometer 2086, wo es heute noch liegt. Gemäß dem Tagebucheintrag wurde die AT 916 von sechs bis acht US-Panzern, die zuvor bereits das Schwesterschiff AT 917 bekämpft hatten, beschossen.
Aufgrund der schweren Schäden war nicht an eine Weiterfahrt zu denken, und die verbliebene Besatzung beschloss das Schiff zu sprengen. Am 7. Mai 1945 detonierten um 0300 Uhr zwei Sprengsätze, einer im Maschinen- der andere im vorderen Frachtraum. Auch hier wurde nach dem „Regenbogenbefehl“ gehandelt. Die Besatzung war zuvor bereits an Land gegangen und befand sich in Sicherheit. Ein Mitglied fiel bei den Kampfhandlungen und wurde in dem Wald neben der Donau begraben. Später wurde er von der Zivilbevölkerung exhumiert und im örtlichen Friedhof bestattet.
Der Tagebuchverfasser und einige seiner Kameraden hatten vor der Versenkung noch Gepäck und Vorräte in Sicherheit gebracht. Diese wurden später auf den Schlepper Hamburg gebracht, der zum Zeitpunkt der Kampfhandlungen weiter stromabwärts gelegen sein muss. Mit diesem Schlepper fuhr schließlich auch die Besatzung der AT 916 stromaufwärts nach Wallsee, wo sie in Kriegsgefangenschaft ging. Danach setzte die Hamburg ihre Fahrt Richtung Linz fort. Die Informationen aus dem Tagebuch decken sich mit dem Bericht eines Zeitzeugen, dessen Erlebnisse in der Ortschronik von Ardagger festgehalten sind. Auch er berichtet von intensiven Kampfhandlungen zwischen der Deutschen Wehrmacht und US-Kräften an der Donau. Beide Berichte dürften unabhängig voneinander verfasst worden sein, bestätigen sich aber gegenseitig, wie die gleiche Zeitangabe hinsichtlich der Sprengung der AT 916 um exakt 0300 Uhr zeigt. Zusätzlich wird in der Ortschronik festgehalten, dass das Schiff „am oberen Ende der Insel“ liegt – diese Information deckt sich mit dem momentanen Liegeplatz. Somit ist es schlüssig, dass das Schicksal des Wracks, das bei Stromkilometer 2086 liegt, geklärt ist und es sich dabei um die AT 916 handelt.
Fazit
Nach den Tauchgängen und dem Auswerten der vorhandenen Quellen konnte die letzte Fahrt der Artilleriefährprahme AT 917 und AT 916 geklärt werden, die beide dasselbe Schicksal erlitten. Die Fahrt beider Schiffe begann am 6. Mai 1945 im Verband mit weiteren von Mauthausen nach Ybbs. Bei Ardagger wurden sie von sechs bis acht Panzer des Typs M24 „Chaffee“, von zwei Aufklärungszügen der kompaniestarken South Patrol (41st Cavalry Reconnaissance Squadron/11. US-Panzerdivision) bekämpft, die entlang der Donau Richtung Grein vorgingen. Aufgrund der Schäden mussten die Schiffe zunächst anlegen und wurde danach durch Sprengungen von der eigenen Mannschaft versenkt. Dort liegen die Fährprahme noch heute (AT 917 bei Stromkilometer 2088,7/AT 916 bei Stromkilometer 2086) und zeugen damit von den Kampfhandlungen der letzten Kriegstage 1945 in Österreich. Der Verbleib der Oder ist bis heute ungeklärt. Angeblich wurde sie bei Wallsee versprengt und bei den Bauarbeiten für das dortige Donaukraftwerk in den 1960er-Jahren gehoben.
Dieser Artikel wurde bereits in der Online-Ausgabe von „Truppendienst – Magazin des Österreichischen Bundesheeres“ (www.truppendienst.com) veröffentlicht und uns für unseren Blog zur Verfügung gestellt.
Der Gastautor
Gerald Tagwerker, MA ist Jurist und Hobby-Historiker aus Ardagger.